Projektgruppe

„Sozio-Ökonomie der Waldnutzung in den Tropen und Subtropen“

Doktorandin:Barbara Müller (Diplom-Geographin)
Tel: +49-761-203 8602
Email: muebarb@uni-freiburg.de
Betreuer: Prof. Dr. Krings (Institut für Kulturgeographie, Universität Freiburg)

                    Eine politisch-ökologische Betrachtung des Gold- und Diamantenbergbaus im
                    Bundesstaat Bolívar / Venezuela
                    Deutsche Zusammenfassung der Dissertation (03/2001)

                    The Political Ecology of gold- and diamond mining in Bolívar State / Venezuela
                    English summary of the research study (03/2001)


 
 



 
 
 
 
 
 
 

Die Kolonisation der Wälder im Südosten Venezuelas 
durch Gold- und Diamantensucher

(Vorläufiger Arbeitstitel, Stand September 2000)
 



Die Problemstellung

Staatliche Entwicklungspläne (PRODESSURPERE ) sehen die forcierte Entwicklung der südlichen Landesteile Venezuelas als Rohstoffquelle für Holz und Bodenschätzen vor. Da das an Bodenschätzen reiche Guayanamassiv im Südosten des Landes größtenteils mit naturnaher Vegetation bedeckt ist und große Areale zum Zwecke des Schutzes und der geregelten Nutzung unter Sonderverwaltung stehen, kollidieren Entwicklungs- und Naturschutzbestrebungen. Insbesondere die Öffnung der Reserva Forestal Imataca für den Bergbausektor (Apertura Minera) im Mai 1997 hat eine heftige Diskussion innerhalb der venezolanischen Gesellschaft ausgelöst. Der zum Teil schon vollzogene, zum Teil in Planung befindliche Modernisierungsschub widerspricht nicht nur Bemühungen, die größten zusammenhängenden Waldgebiete des Landes zu schützen, sondern stößt - z.B. bei der Vergabe großer Konzessionsgebiete für transnationale Bergbauunternehmen - auch auf eine regionale Bevölkerung (indigene Einwohner und Criollos), die seit mehr als 100 Jahren in der Region von Vieh- und Landwirtschaft lebt sowie Bodenschätze mit rudimentären Techniken abbaut (pequeña minería). 
 



Konzeptionelle Einbindung

Mit der Political Ecology(1) wird der Studie ein Konzept zugrundegelegt, das ab Anfang der 80er Jahre - u.a. aus der Kritik an humanökologischen Ansätzen heraus - für die Analyse von Wechselwirkungen zwischen Umwelt und Gesellschaft entwickelt wurde, politisierende Fragestellungen der Entwicklungsländerforschung aufgenommen hat und diese bezogen auf die Mensch-Umwelt-Debatte weiterentwickelt. (Vgl. u.a. BLAIKIE 1985, 1995BRYANT/BAILEY 1997)

"Political ecologists use these assumptions to interpret the Third Word's politicised environment. But how is that politicised environment itself to be understood? The conventional way is to think in terms of discrete types of environmental change - deforestation, soil erosion, flooding, salinisation, etc. - and to relate them separately to political and economic processes. Yet such an approach tends to perpetuate precisely the nature-society dichotomy that some radical scholars accuse their mainstream counterparts of uncritically helping so sustain (Szerszynsky et al., 1996). We would suggest that a way around this impasse is to focus not on a description of the physical environmental changes themselves, but rather on the way in which those changes relate to human activities." (BRYANT / BAILEY 1997: 29).
Arbeiten, die sich an dem Analyserahmen der Political Ecology orientieren, fragen sehr differenziert nach Akteuren, Interessen, Möglichkeiten der Interessensdurchsetzung und den wechselseitigen Auswirkungen auf Umwelt und beteiligte Akteure. Im Vergleich z.B. zur Humanökologie setzt die Political Ecology dabei die regionalen, nationalen und internationalen Ebenen sowie die Verbindungen zwischen diesen Ebenen viel deutlicher ins Zentrum ihrer Untersuchungen.

"First, by examining the general role and significance of selected actors in Third World environmental change, we are able to situate the findings of much local-level empirical research in theoretical and comparative perspective. In doing so, we avoid the 'Achilles heel of localism' (...) that bedevils much work in the field - that is, the sense that research finding have limited applicability outside of the locality in which they where derived. Second, by integrating theoretical and comparative insights as to the role and significance of different actors, we seek to provide a reasonably comprehensive picture of the motivations, interests and actions of those actors in a manner that is not possible through locality studies. The latter typically describe only those traits of actors relevant to understanding developments at the chosen locality. In contrast, our objective is to attempt a well-rounded assessment of different types of actors, including notably their political strengths and weaknesses in relation to other actors. (BRYANT / BAILEY 1997: 25) 

Hypothesen der Dissertation

Lokale Waldzerstörung durch Bergbauaktivitäten ist in beträchtlichem Umfang die Folge makroökonomischer Determinanten und des Fehlens koheränter, transparenter nationaler Umwelt-, Regional- und Bergbaupolitiken. Das heißt: Die Waldzerstörung auf der lokalen Ebene ist vor allem als Manifestation ungelöster Probleme auf der regionalen, nationalen und internationalen Ebene zu verstehen.
Akteure auf der Makro-/Mesoebene (wo u.a. Regulationsmechanismen des Bergbausektors und Umweltgesetze gemacht werden)artikulieren und verfolgen andere Interessen am Wald als Akteure auf der lokalen Ebene (wo Umweltzerstörung konkret stattfindet). 
In der Diskussion um Bergbau und Waldzerstörung nehmen die Akteure die zentralen Probleme, der jeweils "anderen Welt" sowie potentielle Ansatzmöglichkeiten nicht wahr. Eine "Entmystifizierung" der waldrelevanten Rollen der Akteure und die Analyse ihrer Waldkonzepte und Waldnutzungsformen ist notwendig, um Waldnutzungsanspüche und gegebene sowie geplante Waldnutzung zu verstehen, um sich einem Interessensausgleich anzunähern. 
 
 
 

Forschungsvariablen

  • Entwicklungen des Bergbausektors (zeitliche und räumliche Prozesse, Einbindung in makroökonomische Entwicklungen)
  • Staatliche Raum- und Entwicklungspläne (Kohärenzen und Divergenzen in historischen und gegenwärtigen staatlichen Planungskonzepten für den Bundesstaat Bolívar)
  • Inter- und intraregionaler Migrationsbewegungen (Motive, zeitliche Einordnung, Dynamiken)
  • Bevölkerungszusammensetzung der Minerogesellschaften (demographische und sozio-ökonomische Merkmale).
  • Schriftliche und mündliche Selbstdarstellungen, Interviewergebnisse, intendierte und spontane Aussagen der verschiedenen Akteure, die in den Bergbau involviert sind, hinsichtlich ihrer Waldinteressen.
  • Manifeste Waldzerstörung auf der lokalen Ebene durch den Bergbau (Phasen der Wald-erschließung, Waldnutzungsformen, Formen der Walddegradierung)
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    Methoden

  • Literatur- und Dokumentensichtungen (staatliche Regionalentwickungspläne, Gesetzestexte, statistisches Material, Zeitungsartikel etc.)
  • Semi-quantitative und qualitative Befragungen erfolgten ausnahmslos persönlich. Ein Befragungs-team konnte aufgrund der schweren geographischen und soziologischen Zugänglichkeit zu den Minerogesellschaften nicht eingesetzt werden. In der ersten Explorationsphase (bis März 1997) wurden offene Gespräche und wenig strukturierte Befragungsformen vorgezogen. Daneben wurden 30 Pre-Tests mit standardisierten Fragebögen durchgeführt, die überarbeitet in der zweiten Explorationsphase (ab März '97) verstärkt zum Einsatz kamen. Insgesamt wurden jeweils 50 ausführliche, standardisierte Befragungen in fünf verschiedenen Bergbauzentren durchgeführt. Zudem wurden 400 Mineros in zwei Bergbauzentren in einem demographischen Teilzensus erfaßt. Auf lokaler Ebene kamen neben Individualinterviews auch Gruppendiskussionen sowie offene Tiefeninterviews zur Ermittlung familiärer Biographien und individueller Lebensläufe zum Tragen.
  • Kartierungen wurden auf der Basis von Karten, Luftbildern und Geländebeobachtungen durchgeführt. Ziele der Kartierungen waren insbesondere die Lokalisation und räumliche Darstellung konfliktträchtiger Regionen, die Erfassung bergbaulicher Waldzerstörung sowie der Nutzungen bewaldeter Räume durch Akteure des lokalen Bergbaus. 
  • Weitere Methoden waren regelmäßige Notierung, Überprüfung und Diskussion der erhobenen Informationen sowie permanente Anpassung und Spezifizierung der Methoden und Hypothesen.

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    Vorläufige und zu erwartende Ergebnisse

    Zum jetzigen Zeitpunkt kann bereits festgehalten werden:
     
  • Der Bergbausektor setzt sich aus aus einer Vielzahl von - auch nicht-lokalen - Akteuren zusammen, deren Interessen und Aktivitäten sich in Waldzerstörung unterschiedlicher Intensität niederschlagen. Staatliche und private Interessen auf der nationalen und internationalen Ebene, bewaldete Gebiete im Südosten Venezuelas ökonomisch inwertzusetzen, führen ebenso zu Waldverlust (Konzessionsausweisungen, Verdichtung der Infrastruktur, ...) wie der Gold- und Diamantenabbau zur Überlebenssicherung durch semi-legale, informelle Mineros.
  • Befragungsergebnisse zeigen, daß die Krise der nationalen Wirtschaft einer der wichtigsten Push-Faktoren des Bergbaus ist und unklare gesetzliche Regelungen sowie langwierige Genehmigungsverfahren das unkontollierte Eindringen des Bergbausektor in den Wald erleichtern. Auf der anderen Seite würde eine klare gesetzliche Regelung zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu einer massiven Zunahme industrieller Bergbaubauunternehmen führen.
  • Die Auswirkungen des Bergbaus auf den Wald folgen nicht der simplen Unterscheidung von industriellem und handwerklich-informellem Bergbau, sondern hängen auch von Faktoren wie z.B. dem Organisationsgrad, der Form des Bergbaus und dem legalen Status ab.
  • In der Diskussion, um Nutzung der Wald-, Forst- und Bodenressourcen überwiegen ökonomische Argumente, die sehr stark von partikulären Interessen geprägt sind. Waldschutzgedanken spielen eine marginale Rolle und werden von fast allen Seiten nur als Argument für die Rechtfertigung ökonomischer Vorstellungen herangezogen.
  • Das Wissen über Akteure, die nicht zur eigenen Gruppe gehören, sowie ihrer Auswirkungen auf den Wald ist extrem gering. Die Diskussion um Wald und Bergbau ist mehr von Vorurteilen und Mythen des "Gegners" geprägt als von einem offenen Dialog, der die Voraussetzung für einen Interessensausgleich wäre.

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    Die noch ausstehende Auswertung der Kartierungen und Befragungen lassen konkrete Ergebnisse zu folgenden Bereichen erwarten:
     

  • Analyse der Einbindung von Wald und Bergbau in die regionale und nationale Entwicklungsplanung
  • detaillierte Studien der Waldinteressen der in den Bergbau involvierten Akteure
  • Sozio-ökonomische Charakerisierung (Herkunftsort, Ausbildung, Motivation, Migrationsbe-wegungen, Organisationsgrad....) von Minerogesellschaften
  • Waldinteressen und -nutzung durch Akteure des handwerklichen und industriellen Bergbaus
  • Kartographische Darstellungen der Auswirkungen des Bergbaus auf den Wald
  • Grenzen und Möglichkeiten von staatlichen Interventionen zur Regelung des Bergbaus
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    Anmerkungen

  • 1 Der Terminus Political Ecology (bzw. politische Ökologie) erfährt in verschiedenen Kontexten unterschiedliche - zum Teil konträre - Bedeutung (vgl. u.a.: EHRLICH & EHRLICH) 

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    Literatur (Auswahl)

  • BARTON J. (1997): A Political Geography of Latin America. London. Routledge
  • BLAIKIE, Piers (1985): The political economy of soil erosion in developing countries. London. Longman
  • BLAIKIE; Piers (1995): Changing Einvironments or Changing Views? A Political Ecology for Developing Countries. - IN: Geography. Vol 80 (3): 203 - 214
  • BRYANT, R./BAILEY S. (1997): Third World political ecology. Routledge. London
  • COY, M. (1988): Regionalentwicklung und regionale Entwicklungsplanung an der Peripherie in Amazonien. Probleme und Interessenskonflikte bei der Erschließung einer jungen Pionierfront am Beispiel des brasilianischen Bundesstaates Rondonia. (= T&
  • EHRLICH, P; EHRLICH, A. (1972): Die Bevölkerungswachstum und Umweltkrise
  • ENZENSBERGER, H. M. (1973): Zur Kritik der politischen Ökologie. (= Kursbuch 33): 1 -42
  • KOHLHEPP, G. (Hrsg) (1987): Brasilien: Beiträge zur regionalen Struktur- und Entwicklungsforschung. - I.d.R.: Tübinger Geographische Studien. Heft 93. Geograph. Instituts der Univ. Tübingen. Tübingen
  • KRINGS T. (1996): Politische Ökologie der Tropenwaldzerstörung in Laos. - IN: Petermanns Geographische Mitteilungen. 140. 1996/3 (Sonderdruck): 161 - 175
  • OSSENBRÜGGE, J. (Hrsg) (1983): Politische Geographie als räumliche Konfliktforschung. Konzepte zur Analyse der politischen und sozialen Organisation des Raumes auf der Grundlage anglo-amerikanischer Forschungsansätze. (= Hamburger Geogr
  • PASCA, D. 1995: Die Garimperos von Poconé. - IN: Kohlhepp (Hrsg): Mensch-Umwelt-Beziehungen in der Panatal-Region von Mato Grosso / Brasilien Beiträge zur angewandten geographischen Umweltforschung. - Tübinger Beiträge zur geographische
  • PERE: Programa para la Estabilización y Recuperación de la Economía. 1994/1995 (Programm zur Stabilisierung und Erholung der Wirtschaft)
  • PRODESSUR: Proyecto de Desarrollo Sustentable del Sur. 1994 (Regionalentwicklungsplan) 
  • WOLF, E. (1972) Ownership and political ecology. - IN: Anthropolitical Quarterly 45: 201 - 205

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    by Eberhard Weber Jan. 1998
    updated by B. Müller, 21.02.2001