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Die Problemstellung
Staatliche Entwicklungspläne (PRODESSUR
/ PERE ) sehen die forcierte
Entwicklung der südlichen Landesteile Venezuelas als Rohstoffquelle
für Holz und Bodenschätzen vor. Da das an Bodenschätzen
reiche Guayanamassiv im Südosten des Landes größtenteils
mit naturnaher Vegetation bedeckt ist und große Areale zum Zwecke
des Schutzes und der geregelten Nutzung unter Sonderverwaltung stehen,
kollidieren Entwicklungs- und Naturschutzbestrebungen. Insbesondere die
Öffnung der Reserva Forestal Imataca für den Bergbausektor (Apertura
Minera) im Mai 1997 hat eine heftige Diskussion innerhalb der venezolanischen
Gesellschaft ausgelöst. Der zum Teil schon vollzogene, zum Teil in
Planung befindliche Modernisierungsschub widerspricht nicht nur Bemühungen,
die größten zusammenhängenden Waldgebiete des Landes zu
schützen, sondern stößt - z.B. bei der Vergabe großer
Konzessionsgebiete für transnationale Bergbauunternehmen - auch auf
eine regionale Bevölkerung (indigene Einwohner und Criollos), die
seit mehr als 100 Jahren in der Region von Vieh- und Landwirtschaft lebt
sowie Bodenschätze mit rudimentären Techniken abbaut (pequeña
minería).
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Konzeptionelle Einbindung
Mit der Political Ecology(1) wird
der Studie ein Konzept zugrundegelegt, das ab Anfang der 80er Jahre - u.a.
aus der Kritik an humanökologischen Ansätzen heraus - für
die Analyse von Wechselwirkungen zwischen Umwelt und Gesellschaft entwickelt
wurde, politisierende Fragestellungen der Entwicklungsländerforschung
aufgenommen hat und diese bezogen auf die Mensch-Umwelt-Debatte weiterentwickelt.
(Vgl. u.a. BLAIKIE 1985, 1995
, BRYANT/BAILEY 1997)
"Political ecologists use these assumptions to interpret the Third
Word's politicised environment. But how is that politicised environment
itself to be understood? The conventional way is to think in terms of discrete
types of environmental change - deforestation, soil erosion, flooding,
salinisation, etc. - and to relate them separately to political and economic
processes. Yet such an approach tends to perpetuate precisely the nature-society
dichotomy that some radical scholars accuse their mainstream counterparts
of uncritically helping so sustain (Szerszynsky et al., 1996). We would
suggest that a way around this impasse is to focus not on a description
of the physical environmental changes themselves, but rather on the way
in which those changes relate to human activities." (BRYANT / BAILEY 1997:
29).
Arbeiten, die sich an dem Analyserahmen der Political Ecology
orientieren, fragen sehr differenziert nach Akteuren, Interessen, Möglichkeiten
der Interessensdurchsetzung und den wechselseitigen Auswirkungen auf Umwelt
und beteiligte Akteure. Im Vergleich z.B. zur Humanökologie setzt
die Political Ecology dabei die regionalen, nationalen und internationalen
Ebenen sowie die Verbindungen zwischen diesen Ebenen viel deutlicher ins
Zentrum ihrer Untersuchungen.
"First, by examining the general role and significance of selected
actors in Third World environmental change, we are able to situate the
findings of much local-level empirical research in theoretical and comparative
perspective. In doing so, we avoid the 'Achilles heel of localism' (...)
that bedevils much work in the field - that is, the sense that research
finding have limited applicability outside of the locality in which they
where derived. Second, by integrating theoretical and comparative insights
as to the role and significance of different actors, we seek to provide
a reasonably comprehensive picture of the motivations, interests and actions
of those actors in a manner that is not possible through locality studies.
The latter typically describe only those traits of actors relevant to understanding
developments at the chosen locality. In contrast, our objective is to attempt
a well-rounded assessment of different types of actors, including notably
their political strengths and weaknesses in relation to other actors. (BRYANT
/ BAILEY 1997: 25)
Hypothesen der Dissertation
Lokale Waldzerstörung
durch Bergbauaktivitäten ist in beträchtlichem Umfang die Folge
makroökonomischer Determinanten und des Fehlens koheränter, transparenter
nationaler Umwelt-, Regional- und Bergbaupolitiken. Das heißt: Die
Waldzerstörung auf der lokalen Ebene ist vor allem als Manifestation
ungelöster Probleme auf der regionalen, nationalen und internationalen
Ebene zu verstehen.
Akteure auf der Makro-/Mesoebene
(wo u.a. Regulationsmechanismen des Bergbausektors und Umweltgesetze gemacht
werden)artikulieren und verfolgen andere Interessen am Wald als Akteure
auf der lokalen Ebene (wo Umweltzerstörung konkret stattfindet).
In der Diskussion
um Bergbau und Waldzerstörung nehmen die Akteure die zentralen Probleme,
der jeweils "anderen Welt" sowie potentielle Ansatzmöglichkeiten nicht
wahr. Eine "Entmystifizierung" der waldrelevanten Rollen der Akteure und
die Analyse ihrer Waldkonzepte und Waldnutzungsformen ist notwendig, um
Waldnutzungsanspüche und gegebene sowie geplante Waldnutzung zu verstehen,
um sich einem Interessensausgleich anzunähern.
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Forschungsvariablen
Entwicklungen des Bergbausektors (zeitliche und räumliche Prozesse,
Einbindung in makroökonomische Entwicklungen)
Staatliche Raum- und Entwicklungspläne (Kohärenzen und Divergenzen
in historischen und gegenwärtigen staatlichen Planungskonzepten für
den Bundesstaat Bolívar)
Inter- und intraregionaler Migrationsbewegungen (Motive, zeitliche Einordnung,
Dynamiken)
Bevölkerungszusammensetzung der Minerogesellschaften (demographische
und sozio-ökonomische Merkmale).
Schriftliche und mündliche Selbstdarstellungen, Interviewergebnisse,
intendierte und spontane Aussagen der verschiedenen Akteure, die in den
Bergbau involviert sind, hinsichtlich ihrer Waldinteressen.
Manifeste Waldzerstörung auf der lokalen Ebene durch den Bergbau (Phasen
der Wald-erschließung, Waldnutzungsformen, Formen der Walddegradierung)
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Methoden
Literatur- und Dokumentensichtungen (staatliche Regionalentwickungspläne,
Gesetzestexte, statistisches Material, Zeitungsartikel etc.)
Semi-quantitative und qualitative Befragungen erfolgten ausnahmslos persönlich.
Ein Befragungs-team konnte aufgrund der schweren geographischen und soziologischen
Zugänglichkeit zu den Minerogesellschaften nicht eingesetzt werden.
In der ersten Explorationsphase (bis März 1997) wurden offene Gespräche
und wenig strukturierte Befragungsformen vorgezogen. Daneben wurden 30
Pre-Tests mit standardisierten Fragebögen durchgeführt, die überarbeitet
in der zweiten Explorationsphase (ab März '97) verstärkt zum
Einsatz kamen. Insgesamt wurden jeweils 50 ausführliche, standardisierte
Befragungen in fünf verschiedenen Bergbauzentren durchgeführt.
Zudem wurden 400 Mineros in zwei Bergbauzentren in einem demographischen
Teilzensus erfaßt. Auf lokaler Ebene kamen neben Individualinterviews
auch Gruppendiskussionen sowie offene Tiefeninterviews zur Ermittlung familiärer
Biographien und individueller Lebensläufe zum Tragen.
Kartierungen wurden auf der Basis von Karten, Luftbildern und Geländebeobachtungen
durchgeführt. Ziele der Kartierungen waren insbesondere die Lokalisation
und räumliche Darstellung konfliktträchtiger Regionen, die Erfassung
bergbaulicher Waldzerstörung sowie der Nutzungen bewaldeter Räume
durch Akteure des lokalen Bergbaus.
Weitere Methoden waren regelmäßige Notierung, Überprüfung
und Diskussion der erhobenen Informationen sowie permanente Anpassung und
Spezifizierung der Methoden und Hypothesen.
Vorläufige und zu erwartende Ergebnisse
Zum jetzigen Zeitpunkt kann bereits festgehalten werden:
Der Bergbausektor setzt sich aus aus einer Vielzahl von - auch nicht-lokalen
- Akteuren zusammen, deren Interessen und Aktivitäten sich in Waldzerstörung
unterschiedlicher Intensität niederschlagen. Staatliche und private
Interessen auf der nationalen und internationalen Ebene, bewaldete Gebiete
im Südosten Venezuelas ökonomisch inwertzusetzen, führen
ebenso zu Waldverlust (Konzessionsausweisungen, Verdichtung der Infrastruktur,
...) wie der Gold- und Diamantenabbau zur Überlebenssicherung durch
semi-legale, informelle Mineros.
Befragungsergebnisse zeigen, daß die Krise der nationalen Wirtschaft
einer der wichtigsten Push-Faktoren des Bergbaus ist und unklare gesetzliche
Regelungen sowie langwierige Genehmigungsverfahren das unkontollierte Eindringen
des Bergbausektor in den Wald erleichtern. Auf der anderen Seite würde
eine klare gesetzliche Regelung zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu einer
massiven Zunahme industrieller Bergbaubauunternehmen führen.
Die Auswirkungen des Bergbaus auf den Wald folgen nicht der simplen Unterscheidung
von industriellem und handwerklich-informellem Bergbau, sondern hängen
auch von Faktoren wie z.B. dem Organisationsgrad, der Form des Bergbaus
und dem legalen Status ab.
In der Diskussion, um Nutzung der Wald-, Forst- und Bodenressourcen überwiegen
ökonomische Argumente, die sehr stark von partikulären Interessen
geprägt sind. Waldschutzgedanken spielen eine marginale Rolle und
werden von fast allen Seiten nur als Argument für die Rechtfertigung
ökonomischer Vorstellungen herangezogen.
Das Wissen über Akteure, die nicht zur eigenen Gruppe gehören,
sowie ihrer Auswirkungen auf den Wald ist extrem gering. Die Diskussion
um Wald und Bergbau ist mehr von Vorurteilen und Mythen des "Gegners" geprägt
als von einem offenen Dialog, der die Voraussetzung für einen Interessensausgleich
wäre.
Die noch ausstehende Auswertung der Kartierungen und Befragungen lassen
konkrete Ergebnisse zu folgenden Bereichen erwarten:
Analyse der Einbindung von Wald und Bergbau in die regionale und nationale
Entwicklungsplanung
detaillierte Studien der Waldinteressen der in den Bergbau involvierten
Akteure
Sozio-ökonomische Charakerisierung (Herkunftsort, Ausbildung, Motivation,
Migrationsbe-wegungen, Organisationsgrad....) von Minerogesellschaften
Waldinteressen und -nutzung durch Akteure des handwerklichen und industriellen
Bergbaus
Kartographische Darstellungen der Auswirkungen des Bergbaus auf den Wald
Grenzen und Möglichkeiten von staatlichen Interventionen zur Regelung
des Bergbaus
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Anmerkungen
1 Der Terminus Political Ecology
(bzw. politische Ökologie) erfährt in verschiedenen Kontexten
unterschiedliche - zum Teil konträre - Bedeutung (vgl. u.a.: EHRLICH
& EHRLICH)
Literatur (Auswahl)
BARTON J. (1997): A Political Geography of Latin America. London. Routledge
BLAIKIE, Piers (1985): The political
economy of soil erosion in developing countries. London. Longman
BLAIKIE; Piers (1995): Changing Einvironments or Changing Views? A Political
Ecology for Developing Countries. - IN: Geography. Vol 80 (3): 203 - 214
BRYANT, R./BAILEY S. (1997): Third
World political ecology. Routledge. London
COY, M. (1988): Regionalentwicklung und regionale Entwicklungsplanung an
der Peripherie in Amazonien. Probleme und Interessenskonflikte bei der
Erschließung einer jungen Pionierfront am Beispiel des brasilianischen
Bundesstaates Rondonia. (= T&
EHRLICH, P; EHRLICH, A. (1972):
Die Bevölkerungswachstum und Umweltkrise
ENZENSBERGER, H. M. (1973): Zur Kritik der politischen Ökologie. (=
Kursbuch 33): 1 -42
KOHLHEPP, G. (Hrsg) (1987): Brasilien: Beiträge zur regionalen Struktur-
und Entwicklungsforschung. - I.d.R.: Tübinger Geographische Studien.
Heft 93. Geograph. Instituts der Univ. Tübingen. Tübingen
KRINGS T. (1996): Politische Ökologie der Tropenwaldzerstörung
in Laos. - IN: Petermanns Geographische Mitteilungen. 140. 1996/3 (Sonderdruck):
161 - 175
OSSENBRÜGGE, J. (Hrsg) (1983): Politische Geographie als räumliche
Konfliktforschung. Konzepte zur Analyse der politischen und sozialen Organisation
des Raumes auf der Grundlage anglo-amerikanischer Forschungsansätze.
(= Hamburger Geogr
PASCA, D. 1995: Die Garimperos von Poconé. - IN: Kohlhepp (Hrsg):
Mensch-Umwelt-Beziehungen in der Panatal-Region von Mato Grosso / Brasilien
Beiträge zur angewandten geographischen Umweltforschung. - Tübinger
Beiträge zur geographische
PERE: Programa para la Estabilización
y Recuperación de la Economía. 1994/1995 (Programm zur
Stabilisierung und Erholung der Wirtschaft)
PRODESSUR: Proyecto de Desarrollo Sustentable
del Sur. 1994 (Regionalentwicklungsplan)
WOLF, E. (1972) Ownership and political ecology. - IN: Anthropolitical
Quarterly 45: 201 - 205
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